Upcycling 4: GeomantikArt – wenn die Erde selbst upcycelt

Findling Westerlandfrau
Feuerstein erdupcycelt, Konturen einer Madonna. Gefunden auf Sylt. Das von der Natur vorfabrizierte Objekt (Objet trouvé) "Westerlandfrau". Es erlangt durch Erwählung die Würde eines Kunstwerks. Foto: HGW

Seit der Mensch auf Erden lebt, gestaltet er Bestehendes um und formt Neues aus Vorhandenem. Aus Lehm werden Töpfe, aus Bäumen Kanus, aus Fellen Bekleidung. Lange Zeit haben Menschen ausschließlich solche natürlichen Ressourcen für die Herstellung von Alltagsgegenständen zur Verfügung gehabt. Heute beschert uns die industrielle Produktion eine Fülle von gemachten Dingen. Und wenn diese irgendwann einmal nicht mehr gebraucht werden, können sie ihrerseits als  Ausgangsmaterial für etwas Neues dienen. Geldbörsen entstehen aus alten Jeans, für Boote und Gewächshäuser werden PET-Flaschen zusammengesetzt, Handtaschen waren einmal Fahrradschläuche. Vor wenigen Jahrzehnten hat man dafür den Begriff des Upcyclings erfunden, der zum Megatrend geworden ist. Wir haben entdeckt wie aufregend es sein kann, wenn sich Dinge nach ihrer ursprünglichen Verwendung in veränderter Gestalt neu präsentieren, wenn hölzerne Kabeltrommeln Parkbänke werden und Europaletten Bücherregale. Doch was Menschen im 21. Jahrhundert als Modeerscheinung oder im Gedanken der Nachhaltigkeit betreiben, hat uns unsere Erde seit eh und je vorgemacht.

Upcycling 4: Von den Kräften des Planeten vorfabrizierte Objekte 

Westerlandfrau und Rostfunde
Fundsituation Westerlandfrau (links) und Faszination Rost (rechts): Fundstücke erdupcycelt. Foto HGW
Griffzungenschwert erdupcycelt
Von der tödlichen Keltenwaffe zum Museumsschatz: Griffzungenschwert aus der Hallstattzeit (ca. 850-450 v. d. Ztr.), erdupcycelt. Foto: Held in Pantoffeln

Die Erde ist es, die - seit sie besteht - Vorhandenes umformt. Landschaften gestaltet sie unablässig neu. An Meeresküsten sind diese Veränderungen so gut zu erkennen, wie kaum anderswo. Sehenswerte Beispiele zeigen z. B. die atemberaubend schönen Bilder im TV-Film Ostsee von oben.  

 

In ewig langen Zeiträumen modelliert die Erde Steine zu bizarren Gestalten, sie übt gigantisch hohe Drücke aus, bis aus kohlenstoffhaltiger Materie Diamanten werden. Auch die menschengemachten Produkte und den Schrott, den Homo sapiens hinterlässt, lösen die  Naturkräfte im Laufe der Zeit wieder auf, gestalten sie um und präsentieren sie neu. Aus Einkaufstüten entstehen Plastikinseln im Meer, Arbeits- und Spielgerät wird verschüttet und wieder entdeckt, nachdem die Erde es mit Patina versehen hat. Verrostetes Eisen finden wir auf Schritt und Tritt, wenn wir den Boden aufgraben. Gar nicht so selten hat es durch die Oxidation eine aufregende Ästhetik erlangt, wird zur Kunst oder landet im Museum, nachdem die Erde es upcycelt hat.

 

Die Bloggerin Rosadora hat in ihrem Kunstgarten eine Art Liebeserklärung an den Rost formuliert. Rost setzt sich demnach "wie schützend" auf Gegenstände. Das Rostüberzogene sind für sie "Lieder - Melodien - Poesie durch und durch". 

 

"Indem ich sie fotografiere", schreibt sie, "werden sie für mich zu Kunstgegenständen - zu einmaligen Exemplaren...die Einmaligkeit macht sie besonders."

 

Wenn die Erde upcycelt bedeutet dies, dass auch unsere verwitterten Ruinen dereinst überwuchert werden, dass sie zerfallen und Neues sich daraus entwickelt. An all diesen Vorgängen sehen wir, dass die Erde in Wahrheit die Erfinderin des Upcyclings ist.

 

Vor hundert Jahren haben Surrealisten und Dadaisten mit den Objet trouvé  (Breton, siehe unten) und den Readymades (Duchamp) Findlinge aus Natur und menschlicher Produktion zu Kunst erhoben. (Siehe dazu auch die bisherigen Folgen 1 - 3 der Upcycling-Serie).

 

Das war eigentlich schon die Geburtsstunde des modernen Upcyclings, auch wenn wir dafür erst 70 Jahre später, in den 1990er Jahren, diesen Namen dafür erfunden haben. Die Faszination dauert an.  

Upcycling 4: Wie Findlinge zu GeomantikArt werden

Wirkliche Stille ist eine Seltenheit. Manchmal ist Stille auch die Zeit für besondere Ereignisse. Auf Sylt kann man Stille am ehesten an einem recht frühen Sonntagmorgen erleben. Bei sommerlichem Inselwetter erwärmen die blanken Dünen sich gemächlich an den ersten Sonnenstrahlen. Und da der Wind noch schläft, wie die meisten Menschen auf der Insel zu dieser frühen Stunde, sind nicht einmal Surfer unterwegs. So kann man man am Strand von Westerland ganz entspannt den heraufziehenden Tag genießen. Es ist wie eine Gnade, eingehüllt von der leisen Melodie des Meeres einfach rücklings im Sand zu liegen, zu atmen, zu leben. 

Erd-upcycelter Stahlhelm der Deutschen Wehrmacht.
Vom Wehrmachtssymbol zum Mahnmal: Deutscher Stahlhelm erdupcycelt. Foto: HGW

Die feinen, silbern schimmernden Quarzkörnchen an der Oberfläche des Sandstrandes sind trocken und rieseln durch die Finger. Sand in den Händen, Sand an den Füßen, Sand in den Haaren. Hin und wieder berühren die Finger eine der kleinen Herzmuscheln, die hier überall liegen. Doch auf einmal stößt etwas Kühles an die Hand, größer als eine der zierlichen Cardiidaemuschelschalen, schwerer auch. Glatt und angenehm schmiegt es sich in die Hand. Ein Stein. Eine ganz besondere Form von Stein, ähnelnd einer Gestalt. Einer Frau, die ein Tuch um Kopf und Schulter geschlungen hat, wie eine germanische Schicksalsfrau, eine Norne, oder eine Madonnenfigur. 

Rostkunst Rosadora
Alle Reaktionen und Verbindungen sind angelegt in der physikalischen und biologischen Natur von Gaja der Gebärerin. Auch Rost, der so sehr faszinieren kann. Foto: "Rostkunst - Kleine Schale" aus Rosadoras Kunstgarten (http://www.rosadora.de/blog/?p=7805).

In diesem Augenblick geschieht, was André Breton, der französische Dichter und Theoretiker des Surrealismus beschrieb, als der davon sprach, dass es „vorfabrizierte Objekte“ gäbe, „die die Würde eines Kunstwerks“ erlangen, indem man sie erwählt. Sie werden zur Kunst „durch die Wahl des Künstlers“. Wobei Künstler im Sinne von Joseph Beuys jeder sein kann. Kreativität ist nicht allein dem Kunstschaffenden in seinem Atelier vorbehalten. Die Figur der Frau von Westerland wird weitab von einem solchen entdeckt. Und doch erlangt dieser im Sand vorgefundene rötliche Stein nun die besondere Würde, die ihn aus menschlicher Sicht zur Kunst macht. Allein, indem er erwählt wurde. Er ist im klassischen Sinne ein Objet trouvé, wie Breton in seiner französischen Muttersprache einen solchen gefundenen Gegenstand nennt

Rosadoras Kunstgarten
Faszination Rost: Erdupcycelte Objekte. Gesammelt und fotografiert von Rosadora in ihrem Kunstgarten (http://www.rosadora.de/blog/?p=7805).

Gefunden am Strand. Eigentlich ist ja ein sandiger Meeresstrand trotz all des angespülten Durcheinanders, das auf ihm verstreut ist, immer nur „der Strand“. Selten erfährt ein bestimmtes Objekt wie zum Beispiel eine Muschel, ein Kiesel, ein Stück Treibholz oder wie im vorliegenden Fall der Stein, der als Westerlandfrau seinen Weg in eine Künstlerwerkstatt finden sollte, eine besondere Aufmerksamkeit. Dann allerdings ist der Gegenstand schlagartig nicht mehr achtlos herumliegendes namenloses Strandgut, hinterlassen vom Wirken der Gezeiten, vom Wind oder auch von Menschen, sondern nach Bretonscher Deutung Kunst. Das Objet trouvé wird auf den Sockel gehoben, in Szene gesetzt. 

Geschaffen hat es die Natur. Sie ist es, die das Upcycling-Objekt hervorgebracht hat. Im Zusammenwirken mit dem Wasser hat die Erde es in ihrer unendlich langen Geschichte modelliert. Die Frau von Westerland ist ein von den Kräften des Planeten vorfabriziertes Objet trouvé. Marcel Duchamp, Dadaist und Objektkünstler befand in den 1950er Jahren ähnlich wie Breton in den Zwanzigern, dass ein Werk „vollständig von denjenigen gemacht“ wird, „die es betrachten oder es lesen und die es, durch ihren Beifall oder sogar durch ihre Verwerfung, überdauern lassen.“ Er sprach von Readymades, wenn der Künstler den Gegenstand also lediglich vorfindet und präsentiert und am Objekt keine oder kaum Bearbeitungen vornimmt.

Upcycling 4: "Alle Reaktionen und Verbindungen sind angelegt in der physikalischen und biologischen Natur von Gaia, der Gebärerin" 

Puppenarm vom Simssee
Wiedererstanden - erdupcycelte Gliedmaßen - Puppenarm vom Ufer des oberbayerischen Simssees. Foto: HGW.

Was wir als Readymades in der Natur unseres Planeten vorfinden, ist die Kunst der Erde, ist GeomantikArt. Das Wort Geomantik (auch Geomantie) kommt aus dem Altgriechischen. In unsere Sprache übertragen bedeutet es „Weissagung von der Erde“. Gemeint ist, was die Erde uns zu sagen hat, was sie uns verheißt oder prophezeit, letztendlich auch, was sie hervorbringt. In Verbindung mit dem angelsächsischen Wort „Art“, ist GeomantikArt der spezielle Ausdruck für alles was unsere Erde selbst mit ihrer künstlerischen Gestaltungskraft erschafft und was wir als Kunst erkennen – die Erde ist auch die Mutter aller Kunst.

 

In ihrer mythologischen Geschichte wird die Erde stets als Schöpferin betrachtet. Der Name für Erde lautet auf Griechisch Gaia. Gaia ist in der Mythologie die personifizierte Erde und höchste Gottheit zugleich, die erste unter allen Göttern: die Mutter Göttin. Ihr Name ist indogermanischen Ursprungs und bedeutet Gebärerin. Sie hat uns Menschen und alles Leben hervorgebracht, und damit auch alle Kunst. 

 

Die Erde und ihre Atmosphäre verändern ununterbrochen alle Materie des Planeten. Sie formen selbst Gebilde aus Stein und Sand, aus Feuer und Eis immer wieder neu durch Zerstörung und Metamorphose. Auch was Menschen erschaffen konservieren diese Kräfte oder lösen es auf. Alle Reaktionen und Verbindungen zu denen es überhaupt kommen kann, sind angelegt in der physikalischen und biologischen Natur von Gaia der Gebärerin.

Upcycling 4: Unsere Erde ist die Mutter aller Kunst: Hinter ihren metamorphischen Kräften und Erscheinungen wirkt die Erdseele

Lieblingsbuche
Baumleib "Lieblingsbuche", Foto HGW

Findlinge sind Beispiele für die Beziehung des Menschen zur Kunst: Menschen haben vermutlich zuerst die von der Erde geschaffene Kunst vorgefunden, ehe sie sich selbst daran machten, Kunstwerke zu gestalten. Die Frau von Westerland ist ein von den Kräften des Planeten geformtes Objet trouvé, ein Kunstwerk, geschaffen von Mutter Erde, das seine Würde als Kunstwerk dadurch erlangt hat, dass ein Mensch es erwählte.

 

Bäume, insbesondere Buchen, können auf frappierende Weise wie menschliche Körper und Gliedmaßen aussehen. Auf den Seiten von „Rosadoras Kunstgarten“, Rubrik Bäume, ist in Fotografien festgehalten ist, wie die Natur als Künstlerin solche Baumleiber gestaltet.

 

Baumleib - Bild aus Rosadoras Kunstgarten (http://www.rosadora.de/blog/?cat=36).
Baumleib - Bild aus Rosadoras Kunstgarten (http://www.rosadora.de/blog/?cat=36).
Natur-Rune Odal
GeomantikArt: Fundstück Natur-Rune Odal, wie gewachsen, völlig unbearbeitet. Fundort Wald bei Schauerschorn/Obb. 2015, Foto: HGW

 

So mag Kunst tatsächlich einmal ihren Anfang genommen haben. Die erste Anregung, Bildnisse herzustellen von ihrer Welt, könnten Menschen durch Erscheinungen in der Natur bekommen haben, die sie verblüfften, weil sie etwas zeigten, was auch leibhaftig vorhanden war. Wir heutigen Menschen sehen ja ebenfalls in Steinen des Öfteren Gesichter, in Wolkengebilden gelegentlich Tiere oder Fabelwesen und in Baumformen Gestalten, die uns selbst ähneln. So könnte es gewesen sein, so könnte Kunst in den Höhlen ihren Anfang genommen haben. Aber natürlich weiß niemand es wirklich.  

 

Stein vom Peloponnes
Die unterschiedlich konturierten oberen Schichten dieses Steins zeigen die Grenze zwischen zwei Kalksteinbänken – sie sind Zeugnis des Atmens der Erdkruste. Foto HGW

Hinter den metamorphischen Kräften und Erscheinungen der Erde wirkt nach Deutung von Geomantikern – also den Menschen, die sich mit Geomantik befassen -  eine Erdseele. Davon ist zum Beispiel der slowenische Geomantik-Künstler Marko Pogacnik überzeugt, der die Erdseele der Stadt Venedig untersucht hat. Pogacnik hat zum Thema Erdseele auch mehrere Bücher herausgebracht, u. a. die Titel  "Das geheime Leben der Erde, Elementarwesen" und "Begegnungen mit der Erdseele".

 

Vom Wirken einer Erdseele war indes auch schon der berühmte Astronom Johannes Kepler überzeugt. In seinem Werk über Weltharmonik sprach Kepler, wie vor ihm schon Platon und Paracelsus, von der Weltseele, der Beseeltheit der Welt, und entwarf ein naturphilosophisches Konzept der Erde als kosmischer Organismus. Die Erde war für ihn ein pulsierendes Lebewesen, dessen Leib auch über eine eigene Erdseele verfügt. Er führte die Bewegungen der Himmelskörper und auch die unserer Erde auf das Walten dieser harmonischen Weltseele zurück. 

 

Wenn man sieht, was unsere Erde an Formen und Farben, an großen und kleinen Kunstwerken hervorbringt, dann muss einen der Begriff Erdseele nicht mehr überraschen. Sie offenbart sich auch dem Laien, sobald er sich dafür öffnet. Ob auf Sylt oder den Höhenzügen der Großen Europäischen Wasserscheide, im Österreichischen Waldviertel, am Limes in den Steinbrüchen des Altmühltals oder einem klassischen Opalfeld in der Slowakei - egal wo, überall kann man sie spüren. Auch unter den Kronen alter Bäume, die durch ihren Wuchs und ihre Gestalt von den Kräften der Erde zeugen, auf der sie stehen. 

Upcycling 4: Findlinge erzählen immer eine Geschichte  

Findling vom Peloponnes
Ziegelroter Stein von der griechischen Halbinsel Peloponnes, von der Erde künstlerisch upcycelt. Foto: HGW

Steine bewahren aufgrund ihres nur sehr langsam fortschreitenden Verfalls die Erinnerung an jene Erdkräfte, die sie geformt haben, besonders lange in sich. 

 

Steine sind Zeugen der fernsten Erdvergangenheit. Solche Findlinge erzählen immer eine Geschichte. Die der Westerlandfrau begann wahrscheinlich während einer Eiszeit im fernen Skandinavien. Mit Geröll und Geschiebe eines Gletschers gelangte der ursprüngliche Feuerstein, der noch ohne besonders auffallende Konturen war, innerhalb von Jahrtausenden in die Gefilde von Sylt. Auf seiner langen Reise wurde er geschliffen, ausgelaugt und modelliert, bis er die Form der Westerlandfrau angenommen hatte. Die Einmaligkeit des Objekts und dass der Findling sozusagen den Finder an einem Sommermorgen im Dünensand gesucht hat - nicht umgekehrt – solch ein Vorgang hat etwas Mystisches.   

Upcycling 4: Vom Atem der Erde

Unsere Erde erscheint uns wie ein lebendiger Organismus. In manchen Steinformationen kann man sogar sehen, wie dieser Organismus atmet. Der bekannte Geologe Ralf Milke von der Freien Universität (FU) Berlin beschreibt die Atemtätigkeit der Erde an einem Findling vom Peloponnes, der nahe dem Tausend-Seelen-Dorf Andritsena geborgen wurde. Der Stein zeigt uns seinen Worten zufolge in den unterschiedlich konturierten oberen Schichten „die Grenze zwischen zwei Kalksteinbänken, also die Unterbrechung der Sedimentation über womöglich Millionen von Jahren“. Milke über diesen Atem der Erde: „Solche Diskontinuitäten sind Zeugnis des Atmens der Erdkruste. Beim Einatmen ist sie Sedimentationsraum, beim Ausatmen wird sie abgetragen. Natürlich hat die Erde keine Lunge, sondern es ergeben sich die vertikalen Bewegungen aus den Plattenverschiebungen auf der Kugeloberfläche.“

 

Auf den Laien wirkt der weiße Findling, noch gebleicht von der heißen Sonne Griechenlands, vielleicht wie ein steinernes Relief. Es könnte als Abschluss eine Bühne zieren, fein ziseliert von einem alten Meister geschaffen. Aber es ist der Atem unserer Erde, der diese Steinformation geschaffen hat, durch Einatmen und Ausatmen aus einer alten in eine neue Form gewandelt, so der Fachmann. Der Atem von Gaia, der nach Millionen von Jahren im Stein noch immer sichtbar ist.

 

Wer eine Tour durch das Landesinnere des Peloponnes unternimmt, sollte den Apollon-Tempel von Vassae besuchen, der als einer der besterhaltenen Tempel auf der Halbinsel gilt. Er gehört seit den 1990er Jahren zum Weltkulturerbe und liegt in der Nähe des beschaulichen Ortes Andritsena. In seiner Umgebung gibt es unwegsame Schluchten, die von Landschildkröten bevölkert sind, und die nur selten eines Menschen Fuß betritt.

 

Und hier findet man ziegelrote Steine, aus sprödem Material, die von der Erde in wahrhaft künstlerischer Manier upcycelt wurden. Es handelt sich vermutlich um Kieselschiefer, ein Tiefwassersediment vom Boden des längst verschwundenen urgeschichtlichen Tethysmeeres. Als Afrika und Indien mit Eurasien kollidierten wurde das Material wahrscheinlich auf den europäischen Kontinentrand geschoben. Das feste Gestein wurde durch tektonische Bewegungen einem Spannungsfeld ausgesetzt, dem es sich mit größtenteils nahezu vertikalen Rissen entledigte. Tatsächlich fand die subvertikale bruchhafte Druckentlastung in allen drei Raumrichtungen statt - deshalb ist der Stein so schön „plattig“.

 

Die Risse wurden schließlich von einem hellen Material verkittet, vermutlich handelt es sich um Karbonatfüllungen. An der Schmalseite wirken sie auf den Betrachter, als würden Zähne aus dem dunkelroten Schiefer herauswachsen. Das passiert nach Auskunft des Geologen häufig, wenn hydrothermale Lösungen, die in der Erdkruste entstanden sind, sich einen Weg nach oben suchen und dabei zunehmend ihre Lösungsfracht ausfällen.  

Upcycling 4: Die unerschöpfliche Quelle  

GeomantkArt ist der Begriff für die künstlerische Beziehung zwischen Erde und Mensch. Diese Beziehung besteht seit Anbeginn unserer Existenz, denn alles was bis zum heutigen Tag an Formen, an Farben und an Spiritualität existiert, hat der Planet hervorgebracht. Menschen haben daraus kreative Werke gestaltet, haben Sinn gesucht und Schönheit festgehalten. Sie haben in Felsen geritzt, an Höhlenwände gemalt, in Stein gemeißelt, Monumente aufgetürmt, lange bevor es einen Kunstbetrieb gegeben hat.

 

 

Waldstoßzahn
Fundstück "Waldstoßzahn", Kiefernwurzel aufgesockelt, Zeitlbachwald/Obb. 2012. Foro HGW

Unser Planet selbst und seine Kräfte sind die unerschöpfliche Quelle jeglicher Kunst. Und selbst in den Teilen seiner Materie, die wir gemeinhin als Abfall und Müll bezeichnen, offenbart sich ihr Wirken. Bereits Milliarden Jahre alte Ablagerungen sind beseelt und belebt. Rost ist älter als das Leben - oder doch mindestens ebenso alt: Im Rost, der sich einst in eisenhaltigen Erdschichten gebildet hat, sind Mikroben konserviert und damit Teile früheren biologischen Lebens, das zeitgleich existierte. Es handelt sich um bestimmte Arten von Eisen oxidierenden Bakterien, die einst bei hoher Eisen- und niedriger Sauerstoffkonzentration existiert haben. Sie stammen demnach aus jener Zeit als es kaum Sauerstoff in der Atmosphäre unserer Erde gab. Solche Lebewesen findet man heute nur noch in einigen Nischen wie zum Beispiel in Höhlen, Bergwerksminen, heißen Quellen, am Boden der Tiefsee oder auch in manchen Seesedimenten.

 

In den Oxidationsprodukten des Erdaltertums sind die Kräfte des Lebens und des Gestaltens bereits wirksam. Und wie zu belegen war, wird auch alles was später von Menschenhand geschaffen wurde und wird, durch die Erde und ihr unentwegtes metamorphisches Wirken umgeformt, neu gestaltet, um schließlich sogar durch uns Menschen wieder auf den Sockel der Kunst gestellt zu werden. 

 

Ob jene Westerlandfrau aus Feuerstein oder die Findlinge vom Peloponnes, ob die rostumhüllten Überbleibsel einstmals klirrender, blinkender Helme und Waffen, ob Baumleiber, die aus der Erde sprießen, sie alle sind geformt von Gaja der ewigen Mutter.

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