In den 1960er Jahren entstand eine Strömung der bildenden Kunst, die sich der Umwandlung von geographischen Formen in Kunstwerke verschrieben hat: Sie nannte sich Land Art. Wie
beim Upcycling heute, wurde Vorgefundenes aufgewertet - allerdings in weitaus größeren Dimensionen. Kunstobjekt ist schließlich die Erde. Hauptgrund dafür war, dass Künstler keine Lust mehr
hatten, für Museen und Kunsthändler zu arbeiten, die Ihre Werke vor allem als Spekulationsobjekte ansahen. Land Art ist weder käuflich noch transportabel. In den vergangenen sechs Jahrzehnten hat
die ursprüngliche Idee manche Wandlung erfahren bis hin zur Naturkunst. Aber sie hat nichts von ihrer Faszination eingebüßt, wie sich besonders an der Gestaltung der Großen Europäischen
Wasserscheide zum überdimensionalen Kunstwerk zeigen lässt.
Seit dem Spätsommer säumen eindrucksvolle Skulpturen den Wanderweg bei Windhaag im oberösterreichischen Mühlviertel. Die Route verläuft entlang der Großen Europäischen Wasserscheide. Die Kunstwerke wurden von dem einheimischen Bildhauer Gerhard Eilmsteiner erschaffen. Sie sind überwiegend aus Granit, jenem Stein, den die Erde lange vor unserer Zeitrechnung in großen Tiefen unterhalb der Mühlviertler Oberfläche aus heißem Magma hat entstehen lassen. Nachdem das erhärtete Gestein von tektonischen Kräften gehoben und schließlich durch Erdabtragung sichtbar geworden war, hat der Mensch davon Häuser gebaut und Kathedralen, Brückenpfeiler errichtet, Grablegen gestaltet und Kunstwerke gefertigt.
Eilmsteiner hat mit seinen 19 teils monumentalen Skulpturen entlang des Weges den Anfang einer „wanderbaren Galerie“ geschaffen. Sie soll in den kommenden Jahren mit weiteren Kunstwerken von
internationalen Bildhauern ständig erweitert werden. Dieser Wasserscheiden-Skulpturenweg ist eine ganz besondere Attraktion im Grenzraum zu Tschechien.
Upcycling 3: Faszination Große Europäische Wasserscheide von Spanien bis zum Ural
Dass der Wanderweg gerade hier verläuft und nun mit bildhauerischen Elementen gesäumt wird, hat mit der auffallenden Geographie dieses Landstrichs zu tun: der Tatsache, dass hier die Große
Europäische Wasserscheide verläuft. Sie erstreckt sich von Gibraltar im Süden Spaniens zehntausend Kilometer weit nach Nordosten und endet am Ural.
Von der iberischen Halbinsel bis weit nach Russland hinein werden von ihr die Flüsse der einen Hälfte des Erdteils ins Mittelmeer, ins Schwarze Meer und ins Kaspische Meer gelenkt, während die
andere Hälfte der Gewässer in den Atlantischen Ozean, in Nord- und Ostsee, sowie ins nördliche Eismeer fließt. Der Landrücken ist die längste Falte Eurasiens. Ein faszinierendes Gebilde. Der
Abschnitt im Raum des oberösterreichischen Windhaag wird als Wanderweg genutzt, wie viele andere Teilstrecken der Wasserscheide auch. Der Mensch hat diese besondere geographische Erscheinung
schon von altersher geschätzt. Nachzulesen ist dies in der Geschichte des geheimnisvollen Uralers, der auf dem Landwurm der Wasserscheide zwölfmal von Spanien zum Ural und zurück gewandert ist.
Seine Regeln für ein starkes und langes Leben finden sich ebenfalls in dem Bändchen mit dem Titel "Der Heidenschwanz".
Upcycling 3: Schicksalslinie des Kontinents – der Kampf der großen Ströme
Die Wanderwege auf dem Höhenzug der Wasserscheide bieten oft grandiose Ausblicke. Sie haben aber auch etwas Magisches an sich. Die Große Europäische Wasserscheide ist eben nicht einfach nur ein beliebiger Wanderweg, heißt es in der Reportage über einen Abschnitt in Franken: „Immer wieder spüren wir, dass wir hier auf der Schicksalslinie des Kontinents laufen, dass hier der Kampf ausgetragen wird zwischen den großen Strömen, zwischen Rhein und Donau und in entfernteren Regionen zwischen Tajo und Ebro, Loire und Rhône, Oder, Weichsel, Memel und Dnjestr, Düna und Dnjepr, Dwina und Wolga, Petschora, Kama und dem Uralfluss. Das Gefühl, etwas ganz Besonderes zu erleben, indem wir gerade hier auf diesem geomantischen Urgestein wandern, begleitet uns auf Schritt und Tritt.“ (Reportage im Eurasischen Magazin und weitere).
Upcycling 3: Wie Land Art ihren Anfang nahm
Solche besonderen geographischen Gegebenheiten und Räume der Erde, wie die Große Europäische Wasserscheide, ermuntern künstlerisch tätige Menschen regelrecht dazu, sie aus- und umzugestalten.
Erde wird upcycelt, wird aufgewertet zur Kunst. Für diese Kunst hat sich der Begriff Land Art eingebürgert, seit in den 1960er Jahren in Amerika erstmals sogenannte „Earth Works“ – wörtlich
übersetzt „Erde Werke“ – von Künstlern geschaffen wurden. Mit Bulldozern und Dynamit, Beton und Eisen wurde die Erde umgestaltet. Es entstanden Krater, Tunnels und bisweilen bizarre künstliche
Bauwerke in der Landschaft. Im deutschsprachigen Raum ist Land Art vor allem durch den Filmemacher und Fernsehgaleristen Gerry Schum populär geworden, der die erste Fernsehausstellung Land Art
gestaltet hat. Sie wurde am 15. April 1969 im Sender Freies Berlin (SFB) gezeigt. Da Werke der Land Art durch die Natur oft in kurzer Zeit verändert oder auch wieder beseitigt werden, haben
Fotografie und Film von Anfang an eine ganz besondere Bedeutung für dieses Genre.
Land Art ist also ursprünglich eine Strömung der bildenden Kunst.Hervorstechendes Erkennungszeichen ist wie gesagt die Umwandlung der Erde und ihrer vorgefundenen geographischen Formen in Kunstwerke. "Dem Besitzbürgertum, das die Werke der bildenden Kunst nur noch als Spekulationsobjekte betrachtete, wollte man kein neues Konsumgut liefern, sondern Werke schaffen, die in keiner Galerie ausgestellt werden konnten, also weder transportabel, käuflich noch dauerhaft waren. Die Kunstwerke wurden nicht wie Objekte in die Landschaft gestellt, nutzen die Landschaft nicht einfach als attraktiven Hintergrund, sondern wurden selbst zur Landschaft“, heißt es im Erklärbeitrag von Wikipedia.
Upcycling 3: Wie Land Art zur Naturkunst wurde
Inzwischen wird Land Art allerdings sehr weit gefasst und von immer mehr Menschen im Sinne von „Natur-Kunst“ verstanden. Der Upcycling-Charakter der Land Art wird hier besonders deutlich, denn das verwendete Material ist in aller Regel Abfall und zum alsbaldigen Verderb bestimmt. In der Land Art wird es upcycelt, aufgewertet und als Kunstwerk präsentiert. Die Naturschutz- und Ökobewegung, der bereits erwähnte Upcycling-Gedanke und die Lust zur ungewöhnlichen Dekoration vermischen sich in diesem neuzeitlichen Begriff Land Art nicht selten.
Beispiel Natureum Niederelbe: Hier wird Natur-Kunst besonders gefördert. Die Einrichtung ist aus einem Museum mit Vogelbeobachtungsstation hervorgegangen. Heute stellt das Natureum einen großen Elbe-Küstenpark dar, zudem es im Laufe der Jahre ausgebaut wurde. Kinder und Jugendliche werden hier ganz gezielt zu „Naturkünstlern“ ausgebildet und angelernt. „Aus Blüten, Blättern, Ästen, Steinen oder sogar Eis und Schnee entstehen die unterschiedlichsten Kunstwerke wie z. B. Zauberwesen, Miniaturlandschaften,
Ungeheuer, Tiere oder Waldtrolle direkt in und mit der Natur“, heißt es in der
Selbstdarstellung des Niederelbe-Natureums. Neben der Entwicklung ihrer Kreativität
erfahren diejenigen, die an den Veranstaltungen teilnehmen, viel Wissenswertes über heimische Pflanzen und Tiere sowie über die Besonderheiten der unterschiedlichen Landschaftstypen der Niederelbe. In den Kreativgruppen lautet das Motto: „Jeder ist ein Künstler“. Die Entstehung der Kunstwerke und ihr Endzustand werden fotodokumentiert, und die Bilder werden der Künstlergruppe zur Verfügung gestellt. Die Kunstwerke bleiben zunächst vor Ort und können von allen Gästen des Natureums betrachtet werden. Ihre Lebensdauer ist Dank der Naturmaterialien meist sehr begrenzt, so dass auch hier, wie schon bei Gerry Schum, Fotografie und Film eine ganz wichtige Bedeutung haben.
Upcycling 3: Wie die Kraft der Natur Land Art schafft
Im Bassumer Stiftspark wurden im Sommer dieses Jahres ebenfalls aus Naturmaterialien gemachte Kunstwerke gezeigt. Die Führung hatte Anni Wöhler-Pajenkamp. Sie wies ausdrücklich darauf hin, dass
diese Naturmaterialien „bewusst dem Verfall preisgegeben“ werden. Zur Philosophie, die dahintersteht sagte sie: „Im Prozess mit dem Wetter verändern sich die Objekte ständig.“ Das ist eine
wichtige Komponente der Land Art von Anbeginn an, und sie ist es bis heute geblieben.
Anni Wöhler-Pajenkamp erinnerte zur Verdeutlichung dieser Philosophie ausdrücklich an ein Ereignis auf der Kasseler Documenta im Jahr 2007. Der chinesische Architekt und Künstler Ai Weiwei hatte
dort im Innenhof des Aue-Pavillons einen acht Meter hohen Holzturm aus Türen und Fenstern von Häusern gebaut, die dem chinesischen Bauboom zum Opfer gefallen waren. Es war das spektakulärste
Kunstwerk dieser 12. Documenta. Nach vier Tagen warf ein heftiger Sturm die aufsehenerregende Konstruktion um, die ohne Schutz der Witterung ausgesetzt war. „Der Künstler Ai Weiwei war
begeistert“, erzählte Anni Wöhler-Pajenkamp und zitierte ihn mit den Worten: „Jetzt wird die Kraft der Natur sichtbar. Und Kunst wird durch Emotionen erst schön.“ Die Medien kolportieren darüber
hinaus den Satz: „Das ist besser als vorher, der Preis hat sich soeben verdoppelt.“
Upcycling 3: Wie die Arbeit in einer Landschaft die Kunst beeinflusst
„Wenn man in einer Landschaft arbeitet, eine Landschaft über Jahre in sich aufnimmt, ergibt sich daraus ein bestimmtes Wissen, ein Gefühl, besser noch: ein Mitfühlen. Und aus diesem Mitfühlen entsteht ein Erleben, das sich letztlich auch in den Skulpturen widerspiegelt“, sagt Bildhauer Gerhard Eilmsteiner.
Er bezeichnet sich selbst nicht als Land Art-Künstler. Eilmsteiner teilt seine Kunst im „Werkkatalog 69 bis 09“ ein in die Kapitel „Druck und Zug“, „Setzungen und Heilungen“, „Relativierungsmaschinen und andere bewegte Apparate“ sowie „Modelle“. Aber was er schafft, das ist im modernsten Sinne Land Art.
Der Bildhauer setzt sich sowohl mit den Gesetzen der Natur, der Mechanik der Schwerkraft und ganz besonders der Geographie der Landschaft auseinander.
Wenn man die Skulpturen Eilmsteiners betrachtet, fällt unwillkürlich die große Spannweite auf zwischen Dolmen, Spiralen, Schutzsteinen einerseits und den technisch so anspruchsvollen Zeitrelativierungsmaschinen. Darauf angesprochen, woher diese große Verschiedenheit in seinem Schaffen rührt, sagt der Künstler: „Es ist ganz einfach die Faszination dem Schweren eine Leichtigkeit zu geben und dem Leichten Gewicht. Die Spannweite finde ich aber nicht so groß, man müsste sich eigentlich mit allem auseinandersetzen – was aber leider nicht geht.“
Auch Eilmsteiner arbeitet nicht nur mit Stein. Er kombiniert den Granit mit anderen Materialien aus der Natur, die durch ihre ursprüngliche Form dann sogar das neue Objekt bestimmen. In bester
Upcycling-Manier sind Schrott und Müll Teil vieler seiner Kunstwerke. In ihnen tritt das Upcycling-Element also besonders deutlich zutage. Der Künstler sagt darüber, er bemühe sich,
„Fundstücke transportieren in unvergleichlicher Weise die Idee von Zeit“
Interview mit Gerhard
Eilmsteiner
WagnersAusblick: Herr Eilmsteiner, bei Ihren Arbeiten fällt die große Spannweite auf, zwischen Dolmen, Spiralen, Schutzsteinen einerseits und den technisch so anspruchsvollen Zeitrelativierungsmaschinen. Hat Ihnen der Granit allein einfach nicht genügt, oder ist es ein besonderer Hang zur Physik, zu den Gesetzen der Natur, der Mechanik der Schwerkraft, der Sie dazu antreibt, Findlinge aus Stein mit Stahl zu vereinen und in Apparate zu integrieren?
Eilmsteiner: Es ist ganz einfach die Faszination dem Schweren eine Leichtigkeit zu geben und dem Leichten Gewicht. Die Spannweite finde ich aber nicht so groß, man müsste sich mit allem auseinandersetzten – was aber leider nicht geht.
WagnersAusblick: Die Bearbeitung des Granits, mit dem Sie einen großen Teil Ihrer Werke künstlerisch gestalten, begann bereits von Millionen von Jahren. Sehr lange vor unserer Zeitrechnung entstand tief unter der Erde aus heißem Magma durch Erkalten das harte Granitgestein. Von tektonischen Kräften wurde es an die Oberfläche gehoben, geformt, verformt, durch Erdabtragung für uns sichtbar und für Sie, den Künstler, bearbeitbar gemacht. Gigatonnen davon liegen im Mühlviertel. Die Erde, die den Granit hervorgebracht hat als eine Art Kunstwerk der Natur, ist so betrachtet die Mutter aller Kunst. Sehen Sie das auch so?
Eilmsteiner: Weil die Erde ja alles womit wir umgehen, hervorgebracht hat, ist sie als Mutter von allem natürlich auch Mutter der Kunst.
WagnersAusblick: Findlinge unterschiedlichster Art wurden im Dadaismus als Objet trouvé oder Readymades bezeichnet. Damals wurde zum ersten Mal formuliert, dass ein Kunstwerk durch die Augen des Betrachters entsteht, dass vorfabrizierte Objekte die Würde eines Kunstwerks erlangen durch die Wahl des Künstlers, der sie entdeckt. Auch Sie haben den Akt der Auswahl, des in Szene Setzens beschrieben, in dem Sie sagen, dass es manchmal lange dauert, bis Ihre Augen genau den Gegenstand finden, der in eines Ihrer Werke passen muss. Sind Sie in diesem Sinne auch Dadaist?
Eilmsteiner: Ich habe Probleme mich irgendeinem Ismus zuzuordnen, aber großes Interesse, Dinge die unbeachtet sind und an denen ich skulpturale Eigenschaften entdecke oder sie als feinenergetische Informationsträger erlebe, in einen adäquaten Fokus zu rücken der diesen Eigenschaften gerecht wird.
WagnersAusblick: Sie arbeiten auch mit Weggeworfenem, mit Rostigem, in der Erde durch Oxidation bearbeiteten Metall. Manchmal müssen Sie, wie schon angesprochen, länger danach suchen und die Augen offen halten. In Ihren Objekten, so sagen Sie, würden Sie diese Dinge dann so einsetzen, „dass sie mit der ursprünglichen Zweckbestimmung möglichst wenig zu tun haben und so eine Verwandlung erfahren“. Diese Verwandlung, die Umwertung, die Aufwertung in Ihren Arbeiten ist letztlich das, was man heute auch mit dem Begriff des Upcyclings bezeichnet, der sich allerdings erst ab 1994 etabliert hat. In Ihren Werken trifft Vergangenheit auf Zukunft. Sie arbeiten mit Jahrmillionen altem Granit und mit Rostobjekten, die auch schon Jahre auf dem Buckel haben, und gestalten Werke, die künftig Ausstellungssäle oder öffentliche Plätze zieren. Ist also jede Kunst eigentlich die Auswahl und Wandlung des Vorgefundenen durch den Künstler?
Eilmsteiner: Ich habe mich das noch nie gefragt. Der Gedanke, dass Kunst in letzter Konsequenz nur durch Auswahl und Wandlung von Vorgefundenem entsteht, ist vielleicht gar nicht zu widerlegen, sage aber, dass Auswahl und Wandlung von Vorgefundenem nicht notwendigerweise Kunst ist. - Fundstücke transportieren in unvergleichlicher Weise die Idee von Zeit. Ein Objekt, das sich über einen längeren Zeitraum jeglicher Betrachtung entzogen hatte, zeigt diesen ganzen Zeitraum in einem einzigen Augenblick der Neubetrachtung, wodurch diese Zeitrelativierungseigenschaft eines seiner ursprünglichen Bestimmung verloren gegangenen Gegenstandes klar zutage tritt.
Alles was ist, ist in der Zeit.
Und Zeit ist nur im Denken.
Weil Denken immer Gegenwart
und Gegenwart unendlich kurz,
ist Kürze auch die Ewigkeit.
G. Eilmsteiner
diese Fundgegenstände von Entsorgungsplätzen so einzusetzen, „dass sie mit der ursprünglichen Zweckbestimmung möglichst wenig zu tun haben und so eine Verwandlung erfahren.“
Upcycling 3: Wie die Große Europäische Wasserscheide Land und Menschen beeinflusst
Die Große Wasserscheide ist in manchen Ländern, die sie durchzieht, mit Burgen bekrönt. In einer davon, der Burg Schillingsfürst auf einem Bergsporn der Frankenhöhe im mittelfränkischen Landkreis Ansbach, ist die Wasserscheide zum Kunstwerk gestaltet. Nicht nur die Regenrinnen des Daches am Schloss derer von Hohenlohe-Schillingsfürst lenken die Niederschläge über das Kanalsystem entweder zur Donau oder zum Main – wodurch jeder Tropfen der in Schillingsfürst auf das Schlossdach fällt, entweder im Schwarzen Meer oder in der Nordsee landet. Im Schlosshof ist außerdem ein moderner Brunnen kunstvoll gestaltet, der die Wasserscheide symbolisiert: In ihm teilen sich zwei Wasserläufe, deren einer sich in den Rhein zur Nordsee und der anderer sich in die Donau und zum Schwarzen Meer schlängelt.
Doch es sind beileibe nicht nur Burgen und Schlösser, die auf der Wasserscheide errichtet wurden. Auch Rathäuser, Kirchen (meist auf alten heidnischen Kultplätzen) und ganze Siedlungen sind exakt
auf die Wasserscheide gebaut worden. Sie scheint für Baumeister und Planer seit altersher eine magische Anziehungskraft besessen zu haben.
Upcycling 3: Wie die Große Europäische Wasserscheide von Menschen verehrt wird
Den Menschen in den Orten, die auf der Großen Europäischen Wasserscheide entstanden sind, ist ihre besondere Lage auf der Lebenslinie des Kontinents meist sehr bewusst. Der Ort Hausen, Gemeinde Burladingen im baden-württembergischen Zollernalbkreis zum Beispiel hat die Europäische Wasserscheide seit 1974 im Wappen. Am Gasthof „Alte Post“ und am ehemaligen Rathaus kann man es sehen. Ein silberner Wellenpfahl symbolisiert die hier verlaufende Europäische Wasserscheide Donau- Rhein. Die Farben Schwarz und Silber bezeugen die Zugehörigkeit des Dorfes zur Grafschaft Zollern.
In der Stadt Bräunlingen im Südschwarzwald soll ganz aktuell eine optische Markierung der Wasserscheide erfolgen. Geplant ist eine Markierung ihres Verlaufs, die an der Rathausseite in einer
Zickzacklinie entlang der Freiburger Straße verläuft. Die Linie soll in einem Brunnen oder Wasserspiel auf dem Adlerplatz enden und zum Markenzeichen des Platzes und der Stadt werden.
Die Ortschaft Sirchingen, die sich vor 1.600 Jahren auf einem erloschenen Schlot des sogenannten Schwäbischen Vulkans angesiedelt hat, liegt ebenfalls auf der Großen Europäischen Wasserscheide.
In der Ortsmitte steht gegenüber der Gastwirtschaft zum Lamm das Rathaus. Das Haus links daneben ist mit einer quadratmetergroßen symbolhaften Darstellung der Wasserscheide versehen. Sie zieht
sich von hier durch den gesamten Ort und damit liegt die Siedlung in ihrer Länge von mehr als einem Kilometer exakt auf dem geomantischen Höhenpfad der Großen Europäischen Wasserscheide.
Upcycling 3: Wie die Große Europäische Wasserscheide Siedlungsräume verbindet
Das hat Sirchingen zum Beispiel mit der Stadt Lemberg (Lviv), 1.300 Kilometer weiter im Osten gemein: Auch Lemberg liegt genau auf der Europäischen Wasserscheide. Auch hier gibt es Häuser, von deren Dächern das Regenwasser auf der einen Seite nordwärts zur Ostsee, und auf der anderem südwärts zum Schwarzen Meer fließt.
Wanderwege, Siedlungsräume, Kultplätze, Kirchengründungen, Grenzverläufe – das alles gibt es auf dem Höhenzug der Großen Europäischen Wasserscheide. Im bekannten Tiroler Bergdorf St. Anton am
Arlberg bildet der 1.802 Meter hoch gelegene Pass die Wasserscheide zwischen Nordsee und Schwarzem Meer.
Auf dem Dreifaltigkeitsberg, einer ehemaligen keltischen Siedlung hoch über dem baden-württembergischen Spaichingen, haben Bürger Symbolsteine gesetzt, die den Verlauf der Europäischen
Wasserscheide markieren. Dazu gehört auch eine Texttafel mit Erläuterungen zu diesem gigantischen Naturphänomen. Von hier laufen die Niederschläge entweder zum Neckar hin ab oder zur nahen Donau.
Das Besondere an diesem symbolischen Ort ist die Auswahl der Steine. Ein heller Stein stammt aus Cannstadt am Neckar, dessen Wasser in den Rhein und schließlich in die Nordsee fließt. Ein
zweiter, dunkler Stein kommt aus Riedlingen an der Donau, dem Fluss, der schließlich zum Schwarzen Meer fließt.
Upcycling 3: Wie die Natur sich selbst umgestaltet - Grenzen werden fließend
In den Pyrenäen bildet die Große Europäische Wasserscheide die Grenze zwischen Spanien und Frankreich. Kastilien ist durch die Sierra de Gredos des Kastilischen Scheidegebirges in zwei Teile
zerschnitten. Zwischen den beiden kastilischen Hochebenen verläuft hier die Wasserscheide. Sie regelt die Zuflüsse zu den Flusssystemen des Duero und des Tajo. Die Wasserscheide bildet auch die
Klimascheide zwischen dem atlantischen Norden und dem mediterranen Süden Spaniens. Über Jahrhunderte war sie auch eine Art Völkerscheide: sie trennte die Siedlungsräume der keltiberischen Stämme
und der Römer. Außerdem war sie auch die Kulturscheide zwischen dem christlichen Spanien im Norden und dem muslimischen Spanien im Süden.
Weil sich mit dem Rückzug der Gletscher die Wasserscheide in den Bergregionen zwischen der Schweiz und Italien verschoben hat, musste sogar die Ländergrenze korrigiert werden. Denn in der
italienischen Verfassung von 1861 ist festgelegt, dass die Kammlinie der Wasserscheide gleichzeitig Grenze ist. Verfassungskonform werden seither die Grenzmarkierungen dem sich veränderten
Verlauf der Wasserscheide immer wieder aktuell angepasst.
Upcycling 3: Wie der Großen Europäischen Wasserscheide Denkmale gesetzt werden
Angesichts der schicksalhaften Bedeutung, die die Große Europäische Wasserscheide für Länder und Menschen hat, ist es also kein Wunder, dass sie selbst immer wieder symbolhaft hervorgehoben und
gekennzeichnet wird und dass man ihr auch mit Kunstwerken huldigt. So hat der aus Bad Harzburg stammende Künstler Hansjörg Voth am Main-Donau-Kanal die Linie der Europäischen Wasserscheide
nachgezogen. „Scheitelhaltung“ nennt er seine Großskulptur aus weißen Granitblöcken nach dem höchstgelegenen Abschnitt des Kanals. Auf dem Foto ist zu sehen, dass es sich um zwei über die
Scheitelhaltung des Kanals hinweg fluchtende Mauern handelt. Die vordere Mauer endet vor dem Weg im Vordergrund, die hintere, südliche Mauer beginnt nach dem südlichen Treidelpfad. Ihre optische
Besonderheit hat der Journalist Dr. Peer Schmidt-Walther in seinem Beitrag „Links und rechts der Binnenwasserstraßen“ so beschrieben: „Nähert man sich der Skulptur, erblickt man eine sich
perspektivisch verjüngende Marke, die über den Böschungsgrad emporsteigt. Dieser Eindruck vermittelt das Gefühl, dass der höchste Punkt der Reise, an dem sich die Gewässer scheiden, erreicht
ist.“
Das wohl bekannteste Werk von Gerhard Eilmsteiner beschäftigt sich im wahrsten Sinne des Wortes ebenfalls direkt mit der Großen Europäischen Wasserscheide: Das Wettershuttle in Windhaag. Das
Objekt steht exakt auf der Wasserscheide, von der bekanntlich das Wasser entweder nach Norden, in diesem Fall in die Moldau, oder nach Süden in die Donau gelenkt wird. Das Shuttle funktioniert
dergestalt, dass sein eiserner Waagbalken zwei Granitschalen hält. Ist eine der Schalen mit Wasser gefüllt, setzt sich das Shuttle in Bewegung. Es überquert die Wasserscheide und kippt die Schale
auf der anderen Seite aus. Wasser, das in die Moldau geflossen wäre, gelangt so in die Donau, und umgekehrt fließt das für die Donau bestimmte Wasser in die Moldau.
Upcycling 3: Wie die Europäische Wasserscheide zum letzten großen Abenteuer wird
Seit jeher ist der europäische Höhenpfad als einer der längsten Wanderwege der Erde eine große Verlockung für Wanderer. Aber seit dem Uraler aus Friedrich Georg Wicks Heidenschwanz dürften nur wenige Menschen ihn in seiner Gesamtlänge durchmessen haben.
Kürzlich jedoch absolvierte der Präsident einer französischen Vereinigung, die sich „Ligne de Partage“ nennt (zu deutsch „Scheidelinie“), eine beachtliche Strecke von mehreren tausend Kilometern. Dr. Pierre-Louis Blaix trat als Langstreckenwanderer an. Der Ingenieur und ehemalige Wasserkraftwerksdirektor wanderte von Prag nach Anglet im französischen Baskenland. Blaix wollte mit dieser 2.300 Kilometer langen Tour seine Organisation und auch die Große Europäische Wasserscheide bekannt machen. Er hat seine Wanderung in Tagesetappen von 35 bis 40 Kilometer eingeteilt. Zwei Monate war er insgesamt unterwegs.
Ob upcycelt oder naturbelassen - Wanderungen auf dem geheimnisvollen Höhenstrom sind eines der letzten großen Abenteuer unserer Zeit. Eine Strecke von über 8.000 Kilometern Luftlinie und weit mehr als 10.000 Kilometern Gehweg. Dagegen ist Hape Kerkelings vielgerühmter Trip auf dem überlaufenen Jakobsweg (knapp 800 Kilometer) kaum mehr als ein Sonntagsspaziergang gewesen.
Aktueller Hinweis:
ALA – Andorra Land Art 2015
Vom 10. September bis zum 10. Oktober findet das 1. Andorra
Land Art-Festival statt. (Viele Fotos auf den Seiten).
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Die Internationale Biennale Andorra Land Art ist eine
Darbietung künstlerischen Schaffens im Rahmen des Land Art-Konzepts, einer
Bewegung, in der die Natur als Mittel, Motiv und Bühne des kreativen Ausdrucks
im Mittelpunkt steht. Die zumeist vergänglichen Installationen stellen einen
künstlerischen Eingriff in die Landschaft dar.
Die weiteren Beiträge zum Thema:
Upcycling 4: Wenn die Erde selbst upcycelt
Upcycling 3: Land Art - Gestaltung der Erde zum Kunstwerk
Upcycling 2: Wie Alltagsprodukte zu Kunst werden
Upcycling 1: Statt Müll ein zweites Leben
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