Cholesterinwert auf Null: Rettung für das Herz oder tödliches Risiko?

Wer seinen Cholesterinwert senkt, soll ein geringeres Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall haben. Darüber sind sich zwar keineswegs alle Kardiologen einig, aber die Mehrzahl tritt dafür ein, die Werte niedrig zu halten. Ein amerikanischer Herzexperte hat sogar gefordert, das LDL-Cholesterin, das im Allgemeinen als das böse Cholesterin bezeichnet wird, am besten ganz aus dem Blut verschwinden zu lassen. Ist das wirklich ein Weg zu mehr Gesundheit?

Mit neuen, sehr teuren  Medikamenten, die von der US-Pharmaindustrie entwickelt wurden, gelingt das schon weitgehend. Dazu wird der monoklonale Antikörper Evolocumab, ein sogenannter PCSK9-Hemmer, zusätzlich zu der Einnahme von Statinen verabreicht, die normalerweise bei erhöhten Cholesterinwerten verschrieben werden. Kostenpunkt ca. 14.000 Dollar pro Jahr. 

Sabatine
Der amerikanische Kardiologe Dr. med. Marc Sabatine, Professor für Medizin an der Harvard Medical School Boston. Foto HGW

Der amerikanische Kardiologe Dr. med. Marc Sabatine, Professor für Medizin an der Harvard Medical School Boston, propagiert den ganz oder weitgehend cholesterinfreien Organismus. Er ist Vorsitzender der TIMI-Studiengruppe (Thrombolyse bei Myokardinfarkt), am Brigham and Women's Hospital. 

 

Der Herz-Kreislauf-Spezialist hat eine Studie an Hochrisikopatienten  durchgeführt, mit der er zeigen will, dass die Lebenserwartung umso höher steigt, je weniger Cholesterin im Blut vorhanden ist. Er gehe davon aus, dass ein Herz bei 20 oder gar bei 0 Milligramm je Deziliter LDL-Cholesterin im Blut (0 mg/dl LDL) besser und gesünder arbeiten würde, als mit niedrigen oder gar mittleren Werten. Die Ergebnisse seiner  „Fourier“-Studie (Further Cardiovascular Outcomes Research with PCSK9 Inhibition in Subjects with Elevated Risk Evolocumab Significantly Reduces Risk of Cardiovascular Events) sind hier veröffentlicht. -  Finanziert wurde diese „Fourier“-Studie ausgerechnet vom Hersteller des PCSK9-Hemmers Evolocumab, dem Biotech-Unternehmen Amgen. 

Wie gefährlich eine starke Cholesterinabsenkung sein kann

Cholesterin
Die chemische Strukturformel von Cholesterin

Die radikale Absenkung des Cholesterinspiegels kann jedoch böse Folgen haben.  Das LDL-Cholesterin,  auch wenn es gemeinhin als das böse Cholesterin bezeichnet wird, ist nämlich durchaus lebensnotwendig. Bei Werten des LDL-Cholesterins von unter 70 mg/dl besteht ein um 65 Prozent erhöhtes Risiko für eine intrazerebrale Blutung, auch intrazerebrale Hämorrhagie (ICH) genannt, (von  medizinisch hämorrhagisch "zu Blutungen führend"). Durch solche Blutungen im Hirngewebe werden hämorrhagische Schlaganfälle ausgelöst.  Menschen, die ihren LDL-Wert auf unter 50 mg/dl absenken, haben sogar ein um rund 170 Prozent höheres Risiko als Vergleichspersonen, bei denen das LDL-Cholesterin zwischen 70 und 100 mg/dl liegt. Dies kam in einer Beobachtungsstudie aus China heraus, die in der  Fachzeitschrift  Neurology veröffentlicht wurde. Schon zuvor war eine Analyse der amerikanischen Women’s Health Study zu einem ähnlichen Ergebnis gekommen.

Es ist also ganz offensichtlich doch nicht so simpel, dass möglichst wenig Cholesterin automatisch gesund wäre. Zwar gilt es als erwiesen, dass hohe Cholesterinwerte ihrerseits das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall verstärken, aber offenbar gibt es Untergrenzen, die unbedingt zu beachten sind. Und dass die Gefahr einer Cholesterin-Unterversorgung exakt bei 70 oder 50 mg/dl beginnt, ist kaum anzunehmen. Es wäre also sehr zu wünschen, dass diese Untersuchungen, wie sie in den o.a. Studien gemacht wurden, fortgesetzt würden. 

Weshalb radikale Cholesterinabsenkung zu Schlaganfällen führt

Warum aber kommt es durch zu wenig Cholesterin zum Schlaganfall? Das hängt damit zusammen, dass Cholesterin eine Schlüsselrolle bei der strukturellen Bildung von Zellmembranen spielt. Diese bestehen hauptsächlich aus speziellen Lipiden (Fetten) wie eben dem Cholesterin. Es sorgt bei der Zellmembran für die nötige Flexibilität. Zu wenig Cholesterin schädigt deshalb die gesamte Zellmembran und macht sie verletzlich und brüchig.

 

Außerdem sind bei einem zu niedrigen LDL-Cholesterinspiegel auch die roten Blutzellen (Erythrozyten) sehr verletzbar und fragil. Dadurch ist der Sauerstoffaustausch in den Zellen gestört und eingeschränkt.

 

Dass stark abgesenkte Cholesterinwerte zu Gehirnblutungen führen können, davor hat auch schon die  Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft (DSG) in einer Veröffentlichung gewarnt. Insbesondere bei Patienten, die schon eine Gehirnblutung erlitten hatten, könnte durch eine starke Absenkung ihrer Cholesterinwerte das Blutungs- und Schlaganfallrisiko zunehmen. 

Diese neuen Erkenntnisse bedeuten sicher nicht, dass die Höhe von Cholesterinwerten beim Menschen völlig egal wären. Noch gilt die Kontrolle des Cholesterinspiegels als eine Erfolgsgeschichte der Medizin, auch wenn viele Ärzte schon immer anderer Meinung waren. Aber die Studien in China und den USA stimmen doch nachdenklich. Eine radikale Absenkung des körpereigenen Stoffes Cholesterin, den unser Leber herstellt, erscheint im Lichte neuer Erkenntnisse allzu einfach. Dass die Pharmaindustrie ein Interesse daran hat, möglichst viele Präparate zur Absenkung des Cholesterinwertes zu verkaufen, mag verständlich sein. Bedenklich wird es aber, wenn sich Ärzte und Wissenschaftler von der Pharma-Lobby finanzieren lassen. Sie setzen sich damit zumindest dem Verdacht aus, Verbündete oder Auftragnehmer dieser Industrie zu sein..

Kommentar schreiben

Kommentare: 0