Wer sind wir wirklich?

Vor ein paar Tagen stand in der Tageszeitung „Die Welt“, dass sich „rund 200 Wissenschaftler zusammengeschlossen“ hätten, um die bakteriellen Lebewesen in und auf dem Menschen zu zählen. Ihr Ziel sei es „Zusammensetzung und Verteilung der winzigen Lebewesen auf einer Art Landkarte des Menschen festzuhalten.“

Die Autorin, Lauran Neergaard, lässt wissen: „Diese erste derartige Volkszählung der Mikroben, das Human Microbiome Project (HMP) der US-Regierung, begann vor fünf Jahren. Veröffentlicht wurden die Ergebnisse kürzlich unter anderem in einer Reihe von Beiträgen in der Fachzeitschrift ‚Nature‘“.

Wer gehört zu uns?

In der Tat bemühen sich Wissenschaftler seit fünf Jahren herauszufinden, mit welchen Lebewesen wir zusammen eine Gemeinschaft bilden und welchen Einfluss diese auf uns haben. Erstaunlich ist, dass Menschen bislang gar nicht wussten, welche und wieviele Bakterien, Pilze, Hefen, Viren sie besiedeln und was diese in ihrem Organismus anstellen.

Gemeinhin werden sie unter dem Begriff Mikroorganismen zusammengefasst und abgekürzt als „Mikroben“ bezeichnet. Ihre Zahl ist zehnmal so hoch wie die der menschlichen Körperzellen. 100 Billionen Mikroben und 10 Billionen Körperzellen – so setzt sich ein menschlicher Organismus zusammen. Aber nicht erst seit fünf Jahren, sondern seit es Menschen und deren Vorläufer überhaupt gibt - also seit Jahrhunderttausenden, seit Jahrmillionen.

Wer treibt das Denken an?

Alle vielzelligen, alle „höheren“ Lebewesen sind so ähnlich aufgebaut. Und sogar im Innern der vermeintlich rein menschlichen Körperzellen führen halbautonome Bakterien zu Tausenden das Regiment. Jede unserer Gehirnzellen wird zum Beispiel in ihrem Inneren von einer solchen Anzahl an bakteriellen Lebewesen angetrieben. Sie erzeugen die Energie des Gehirns. Ohne diese Ex-Bakterien in meinem Kopf könnte ich diese Sätze hier nicht schreiben und ohne diese bakteriellen Energieerzeuger könnten Sie sie nicht lesen und nicht verstehen. Ohne sie kein Gedanke, ohne sie kein Willensakt. Ohne sie kein Bewusstsein. Kein Selbst. Kein Ich.

Wer produziert unsere Lebensenergie?

Entstanden sind diese Lebewesen, die in unseren Zellen leben und die wir Mitochondrien nennen, vor Jahrmilliarden. Sie sind die leistungsfähigsten Kraftwerke, die es auf Erden und vermutlich im gesamten Universum gibt. Viel leistungsfähiger als unsere Sonne. Durch sie allein leben wir. Sie erzeugen unsere Lebensenergie, in jedem Augenblick. Jeden Tag soviel, wie unser Körpergewicht in etwa. Wenn sie erlöschen würden, wären wir auf der Stelle tot. Billiarden davon arbeiten in unserem Körper. Sie erzeugen die Elektrizität, mit der das Leben angetrieben wird. Und sie können das seit Jahrmilliarden.

Ich gebe zu, das klingt nicht für jeden sofort glaubhaft. Aber ich habe zweieinhalb Jahre oder rund tausend Tage darüber recherchiert. Dass man das nicht in der Schule lernt ist bedauerlich. Denn wie sollen wir uns je verstehen, wenn wir nicht einmal wissen wie und wodurch wir funktionieren?

Mitochondrien – unsere geheimnisvollen Kraftwerke

Ein namhafter Professor einer großen deutschen Universität hat mir geschrieben: „Es ist sehr schön, dass Sie sich die Zeit nehmen konnten, viele normalerweise nur getrennt wahrgenommene Dinge einmal im größeren Zusammenhang zu erläutern! Besonders hat es mich natürlich auch gefreut, dass Sie dabei auch auf die Funktion der Mitochondrien eingegangen sind… Ich wünsche Ihnen viele aufmerksame Leser! “

Mitochondrien – so haben wir Menschen wie gesagt die so ungeheuer leistungsfähigen, mikroskopisch kleinen Kraftwerke benannt, die in unseren Zellen die Lebensenergie herstellen. Billiarden davon machen dies in jeder Sekunde. Und kaum jemand weiß davon. Nur wenn sie abbauen, wenn sie defekt werden, dann fallen sie uns auf. Denn die Folgen des Verfalls unserer Mitochondrien-Kraftwerke sind u.a. Diabetes, Parkinson, Alzheimer und schließlich der Tod.

Christiane Löll und Lauran Neergaard berichten

Die Journalistin Christiane Löll hat vor wenigen Tagen in ihrem Beitrag über einen Ärztekongress aus Hamburg berichtet, die versammelten Mediziner hätten sich die Frage gestellt, „werden wir von unserer Darmflora regiert?“. – Das bedeutet, dass zumindest in Fachkreisen das Thema „wir und unsere Mikroben“ entdeckt zu werden scheint.

Lauran Neergaard zitiert Phillip Tarr von der Washington-Universität in St. Louis, der am Human Microbiome Project führend beteiligt ist, mit den Worten: „Dies ist eine ganz neue Sichtweise auf die menschliche Biologie und Krankheiten des Menschen, und es ist beeindruckend". Er fügte hinzu: „Solche Bakterien sind keine Passagiere, wir müssen mit ihnen rechnen, wie wir mit den Ökosystemen in einem Wald oder einem Gewässer rechnen müssen.“

Ihre Gene in uns – sie haben die Mehrheit

Nein, das sind keine Passagiere – sie sind Teil von uns. Wir bestehen aus ihnen. Wir sind aus Bakterien zusammengesetzt. Ich gehe diesen Fragen nach: „Woraus bestehen wir eigentlich im Innersten? Wie viele Lebensformen wurden im Laufe der Evolution in uns ‚verbacken‘? Wie passen sie zusammen? Welchen Einflüssen dieser vielen Grundbestanteile unterliegen wir? Und wer ist ‚wir‘ dann überhaupt?“

In fünfjähriger Arbeit haben Wissenschaftler im Human Micorobiome Project u. a. herausgefunden, wie groß allein die Zahl der Bakterienarten ist, die an jenen 100 Billionen in und auf dem Menschen beteiligt sind. Sie beträgt über 10.000 – zehntausend verschiedene – und damit ist diese Zahl weit größer als die Fachwelt bisher vermutet hatte.

Außerdem wurde ermittelt, dass das Mikrobiom (die Gesamtheit aller den Menschen besiedelnden Mikroorganismen) genetisch knapp 400 Mal so umfangreich ist wie unser eigenes Genom. Etwa acht Millionen Gene, die in ein Protein übersetzt werden können, besitzen unsere Mikroorganismen, wir selbst haben nur ca. 22 000.

Forscher gehen inzwischen davon aus, dass das Mikrobiom nicht nur unseren Stoffwechsel stark beeinflusst, sondern dass auch Eigenschaften, wie etwa Aussehen und Größenwachstum, Gewicht und Leistungsfähigkeit des Menschen auf genetische Einflüsse aus dem Mikrobiom, also auf die Mikroben in uns zurückzuführen sind.

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Rezensionen: http://www.eurasischesmagazin.de/artikel/?artikelID=20121017

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